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Was gute Entscheidungen ausmacht

Gute Entscheidungen treffen ist herausfordernd, weiss die Psychologin Corina Sager, die sich mit uns über Entscheidungsfindung unterhalten hat. Im Interview teilt sie wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, was gute Entscheidungen ausmacht und wie wir sie erreichen können.

Narra: Entscheidungen bestimmen unseren Lebensweg und sind ein häufiges Thema in Coaching Konversationen. Wann treffen wir aus psychologischer Sicht gute Entscheidungen?

Corina Sager: Gute Entscheidungen treffen wir, wenn wir durch sie ein Leben gestalten, das wirklich zu uns passt. Hierzu müssen wir Zugang zu unseren Motiven bzw. Bedürfnissen haben. Man könnte auch sagen, wir müssen mit uns verbunden sein. Zudem brauchen wir den Mut, einen ganz eigenen Weg einzuschlagen.

Mit sich verbunden sein – was bedeutet das genau?

Mit sich verbunden zu sein bedeutet, einen inneren Kompass zu haben. Wer nach diesem inneren Kompass handelt, setzt sich Ziele, die zu den eigenen tieferliegenden Motiven passen. Typische tieferliegende Motive sind Leistung, Macht und Bindung. Das Machtmotiv können wir z.B. im Berufskontext stillen. Interessanterweise zeigen Studien, dass dies besser gelingt, wenn wir nicht primär nach Einfluss über andere streben, sondern Rollen annehmen, die mit Autonomie einhergehen und uns Macht zur Ausgestaltung unseres eigenen Lebens geben1.

Und was passiert, wenn wir nicht im Einklang mit unserem inneren Kompass handeln?

Handeln wir nicht im Einklang mit unseren Bedürfnissen, entstehen mehrere Probleme:

  1. Erstens können wir dann die Energie für die täglichen Aufgaben nur durch Selbstdisziplin aufbringen. Dies ist anstrengend und führt zu Erschöpfung.
  2. Zweitens bleibt für die Befriedigung unserer Bedürfnisse immer weniger Zeit und Energie.
  3. Und drittens wird es immer schwieriger, unsere Bedürfnisse überhaupt wahrzunehmen, da wir den ganzen Tag an ihnen vorbeileben. Stattdessen erfahren wir eine Entfremdung von uns selbst – das Gegenteil von Verbundenheit also. So kann es passieren, dass man sich in einer Lebenssituation, in der nach aussen hin alles stimmt, dennoch nicht wohl fühlt.

Dieses Unwohlsein kennen wir aus eigener Erfahrung. Warum passiert es, dass wir immer wieder gegen unseren inneren Kompass handeln?

Die Herausforderung ist, dass ein Grossteil unserer Motive unbewusst und unserem Verstand nicht direkt zugänglich ist. Daher spricht man auch von impliziten Motiven. Gleichzeitig haben wir alle ein Selbstkonzept im Kopf, beispielsweise «Ich bin eine Person, die Herausforderungen mag». Dieses explizite Selbstkonzept ist in der Hektik des Alltags oft leichter zugänglich als unser innerer Kompass. In der Folge orientieren wir uns an unserem Selbstkonzept, ohne es zu hinterfragen. Wenn dieses unsere Motive nicht akkurat abbildet, finden wir uns zum Beispiel in einer Rolle oder Ausbildung wieder, die in unserem Lebenslauf gut aussieht, die aber eigentlich überhaupt nicht zu uns passt.

Du sprichst den Lebenslauf an – ein Dokument, das andere von uns überzeugen soll. Welche Rolle spielen äussere Erwartungen bei der Entfremdung vom Selbst?

Sie können eine erhebliche Rolle spielen. Wir alle möchten uns zu einer Gruppe zugehörig fühlen und orientieren uns dafür an anderen Menschen. Problematisch wird es, wenn unser Fokus zu sehr darauf liegt, was andere von uns denken könnten oder von uns erwarten. Dies passiert vor allem, wenn unser Bindungsbedürfnis nicht ausreichend erfüllt ist. Studien zeigen, dass wir dann weniger mit unseren eigenen Bedürfnissen, Gefühlen und Meinungen verbunden sind und unsere Entscheidungen weniger danach ausrichten. In der Folge spielen wir in unserem Leben nicht mehr die Hauptrolle, sondern organisieren unseren Alltag um die Bedürfnisse anderer herum.

Umgekehrt ist es auch so, dass sich Personen, die weniger Zugang zu sich selbst haben, stärker nach aussen orientieren. Die Frage, ob etwas sozial angemessen ist oder nicht, ist dann wichtiger als die Frage, ob etwas für einen selbst wirklich stimmt.

Welche Chancen liegen sonst noch darin, sich wieder stärker mich sich selbst zu verbinden?

Ziemlich Fundamentale! Wer dies häufig tut, ist laut Studien glücklicher und leistungsfähiger. Glücklicher, weil die eigenen Bedürfnisse befriedigt sind, und leistungsfähiger, weil aus diesen Bedürfnissen heraus automatisch Energie generiert wird. Man muss sich also nicht überwinden etwas zu tun, sondern ist intrinsisch motiviert für das gewählte Vorhaben und erlebt dieses eher als erfüllend.

Was sind deine Tipps, um gute Entscheidungen zu treffen?

Meine Tipps sind neue Zugänge zu sich selbst zu finden und diese im Kontext von Entscheidungen zu nutzen, so zum Beispiel:

Da unsere Bedürfnisse oft unbewusst sind, sind sie schwer in Worte zu fassen. Einen unmittelbaren Zugang dazu haben wir aber über unsere körperlichen Reaktionen. Stell dir daher in einer Entscheidungssituation alle Handlungsoptionen nacheinander vor und beobachte deine körperliche Reaktion. Spürst du Anspannung, ein Kribbeln, einen Kloss im Hals, Wärme, freies Atmen, Leichtigkeit?

Eine hilfreiche Methode, um entsprechend den eigenen Motiven zu handeln, ist das Imaginieren von Zielen: Stelle dir die verschiedenen Zieloptionen möglichst lebhaft vor und beobachte die dabei aufkommenden Emotionen. Die Chance auf die Wahl einer Option, die zu deinen Bedürfnissen passt, ist bei einem solchen Entscheidungsprozess höher als beim Erstellen einer Pro- und Kontra-Liste.

Hilfreich können folgende Reflexionsfragen sein: Welche Aktivitäten mache ich auch ohne Belohnung immer wieder und ziehe sie zeitlich häufig vor? Wann habe ich mich über ein erzieltes Ergebnis besonders gefreut? Wann konnte ich mich trotz eines Erfolgs erstaunlicherweise gar nicht richtig freuen?2

Danke für diese Tipps, wie wir uns selbst helfen können. Was kann ein Coach oder Therapeut darüber hinaus für uns tun?

Als Klient:innen sind wir Expert:innen für unsere Lebenssituation und die Bereiche, in denen wir uns Veränderung wünschen. Psychologische Fachpersonen sind Expert:innen für den Veränderungsprozess. Dadurch können sie helfen, uns selbst und unsere Emotionen besser zu verstehen, Ziele zu spezifizieren und Blockaden zu lösen. Ausserdem hilft das Gespräch mit einem empathischen, wertschätzenden Gegenüber, den eigenen Emotionen und Gedanken mit mehr Wohlwollen begegnen zu können. Und nur mit einem wohlwollenden Blick auf sich selbst lässt sich eine gute Verbindung zu sich selbst langfristig aufrechterhalten.

Vielen Dank für das Gespräch, Corina!

Quelle:

  1. Lammers, Stoker, Rink & Galinsky im Artikel «To Have Control Over or to Be Free From Others? The Desire for Power Reflects a Need for Autonomy»
  2. Falko Rheinberg im Buch «Motivation»
  3. Brandstätter, Schüler, Puca & Lozo im Buch «Motivation und Emotion»
Die Interviewpartnerin

Corina Sager ist Psychologin und angehende Psychotherapeutin. Zu ihren Lieblingsthemen gehören emotionale Kompetenzen, Stressmanagement und Mindful Self-Compassion.